Keine Auslandsflucht vor der Beitragspflicht

Der BGH hat entschieden, dass Vorstandsmitglieder ausländischer Gesellschaften über das Rechtsinstitut der Organhaftung unmittelbar und persönlich in Deutschland zur Rechenschaft gezogen werden können.

Bundesgerichtshof, Urteil vom 11.06.2013, Az.: II ZR 389/12
Vorinstanzen: OLG Dresden, Urteil vom 29.08.2012 Az.: 1 U 901/11;                
                      LG Dresden, Urteilvom 27.05.2011, Az.: 5 O 1244/10

Ausgangslage:

Die Klägerin als zuständige Einzugsstelle nimmt den Beklagten wegen Nichtabführens der Arbeitnehmeranteile zur Sozialversicherung auf Schadensersatz in Anspruch. Der Beklagte war von 2004 bis 2008 Vorsitzender der Direktion einer nach schweizerischem Recht gegründeten Aktiengesellschaft mit Sitz in der Schweiz. Die Gesellschaft beschäftigte Arbeitnehmer in Deutschland, für die sie jedoch von Februar 2007 bis Januar 2009 keine Sozialversicherungsbeiträge in Höhe von ca. 33.000,00 EUR entrichtet hatte. Nach Auffassung der Klägerin wäre es Aufgabe des Beklagten als Vorsitzender der Direktion gewesen eine ordnungsgemäße Lohnabrechnung zu erstellen und die abgerechneten Sozialversicherungsbeträge abzuführen. Der Beklagte verteidigte sich damit, dass er nach der internen Geschäftsverteilung gar nicht für die Entrichtung der Arbeitnehmerbeträge zuständig gewesen sei und ihm daher kein Vorwurf gemacht werden könne. Eine persönliche Haftung komme nicht in Betracht.
 
Das Landgericht und das Oberlandesgericht Dresden wiesen die Klage zurück. Die von der Klägerin weiterverfolgte Revision beim Bundesgerichtshof hatte Erfolg.

Entscheidungsgründe:

Der Bundesgerichtshof hat entschieden, dass der Vorsitzende der Direktion einer Schweizer Aktiengesellschaft als dessen Organ unmittelbar zur Zahlung von Schadensersatz herangezogen werden kann, wenn er für die Verletzung deutschen Rechts verantwortlich ist. Anders als die Vorinstanzen entschied der BGH, dass nicht die Klägerin für die konkrete interne Zuständigkeit des Vorsitzenden der Direktion darlegungs- und beweisbelastet sei sondern der Beklagte.

Der Rechtstreit wurde allerdings vom BGH zur weiteren Sachaufklärung zurückverwiesen, da durch das Landgericht und Oberlandesgericht Dresden bislang nicht geklärt worden ist, so der BGH, ob der Beklagte für die Überweisung der Sozialversicherungsbeiträge im Innenverhältnis der Gesellschaft tatsächlich verantwortlich war. So führt der Bundesgerichtshof aus, dass nach schweizerischem Recht die Generalversammlung, der Verwaltungsrat und die Revisionsstelle lediglich die "zwingenden Organe" einer Aktiengesellschaft seien. Da jedoch Geschäftsführungs- und Vertretungsbefugnisse auf die einzelnen Mitglieder einer Direktion übertragen werden können, bedarf es für eine unmittelbare Haftung des Beklagten weiterer Tatsachenfeststellungen.

Als nicht ausreichend angesehen wurde das in den Vorinstanzen noch erfolgreiche Verteidigungsvorbringen des Beklagten, er sei für die Abführung der Sozialversicherungsverträge intern nicht zuständig gewesen und ihm könne daher kein Vorwurf gemacht werden. Es sei an dem Beklagten, darzulegen und zu beweisen, dass nicht er sondern ein anderes Vorstandsmitglied nach einer internen Geschäftsordnung der Direktion der Aktiengesellschaft für Personalfragen verantwortlich gewesen sei und jemand anderes die Sozialversicherungsbeiträge hätte abführen müssen. Ein einfaches Bestreiten soll nach Auffassung des BGH nicht ausreichen. Vielmehr muss der Beklagte konkret zu seiner Entlastung vortragen, wie die Verantwortlichkeit speziell für die Abführung der Sozialversicherungsbeiträge innerhalb der Gesellschaft geregelt wurde.

Der BGH wendet sich mit diesem Urteil gegen die Entscheidungen des Landesgerichts und Oberlandesgerichts Dresden und lehnt die in den Vorinstanzen angewendeten hohen Hürden bei der Substantiierung der Vorwürfe gegenüber dem Beklagten ab. An den Umfang der Darlegungslast der Klägerin dürfen keine überhöhten Anforderungen gestellt werden, schließlich haben Außenstehende in die Interna einer ausländischen Gesellschaft und deren Geschäftsverteilungsplan in der Regel keinen Einblick. Die Darlegung der Klägerin, eine umfassende Geschäftsführungsbefugnis des Vorsitzenden der Direktion sei der Normalfall , stelle einen substantiierten Sachvortrag der Klägerin dar.

Kommentar:                                                                                           

Der weitere Verlauf des Verfahrens wird zeigen, ob die Verteidigungsstrategie des Beklagten, sich auf deninternen Geschäftsverteilungsplan der Gesellschaft zu stützen und damit die Verantwortung für die strafbaren Handlungen von sich zu schieben, Erfolg haben wird.

Der Fall zeigt, dass der Bundesgerichtshof bestrebt ist, die Durchgriffshaftung auf die handelnden Personen nicht unnötig mit hohen Substantiierungsanforderungen zu der Verantwortlichkeit der Handelnden im Innenverhältnis zu erschweren. Denn gerade bei ausländischen Gesellschaften fällt es schwer, einen Einblick in die interne Struktur zu erhalten und den konkret Verantwortlichen zu ermitteln. Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs trägt dem Ziel der Transparenz Rechnung und ist in jedem Falle zu begrüßen.

Die Klarstellung der Darlegungs- und Beweislastverteilung bedeutet jedoch nicht, dass derartige Verfahren für Betroffene erfolgsversprechender werden. Denn dem Vorstand bzw. der Geschäftsführung bleibt es unbenommen durch eine geschickt formulierte Geschäftsverteilung die Verantwortung für einzelne Bereiche zu verteilen und dadurch die Durchgriffshaftung zu erschweren. Abzuwarten bleibt jedoch, ob ein Betroffener zur eigenen Entlastung praktisch einen Vorstands- bzw. Direktionskollegen sprichwörtlich ans Messer liefern muss, da das Nichtabführen von Sozialversicherungsbeiträgen nicht nur zivilrechtlich sondern auch strafrechtlich Relevanz hat.